Kathrin Janert - "Als Mann und Frau geschaffen" (1. Mose 1,27) - Predigt am 19. Oktober 2019

Gnade sei mit euch und Frieden von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Jesus Christus.


Liebe Gemeinde, ich möchte im Rahmen dieser Predigtreihe „Als Mann und Frau geschaffen“ ein wenig Farbe, ein wenig Vielfalt bringen. An den Anfang möchte ich eines meiner Lieblingssätze aus dem Römerbrief 15, Vers 7 stellen.
„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Röm, 15,7 Ein Appell, der in diesen Tagen nicht oft genug gesagt und gelebt werden kann. Auch der Apostel Paulus war von einer solchen Sehnsucht erfüllt. Paulus ist bei seinen Besuchen in den frühen christlichen Gemeinden immer wieder mit Konflikten konfrontiert worden. Die junge, kleine städtische Gemeinde in Rom allerdings hat er nie persönlich kennengelernt. Erfahren hat er aber, dass es auch dort Unstimmigkeiten und Verständigungsschwierigkeiten gab. Da waren- wenn man so will – die Traditionalisten, die sog Judenchristen, die darauf beharrten, dass man nur über die Anerkennung und Befolgung der Tora seinen Glauben zu Jesus Christus finden könne, er selbst Jude gewesen ist. Und da waren auf der anderen Seite die sog Heidenchristen – zu deren Nachfahren ja auch wir gehören. Sie bezeugten mit ihrem Leben, dass man Christ*in sein kann ohne zunächst jüdisch geprägt sein zu müssen, weil das Wort Gottes, die frohe Botschaft für alle Menschen frei zugänglich sein will. Paulus plädiert am Ende seines Briefs an die Gemeinde in Rom mit großem Engagement für den gegenseitigen Respekt untereinander und die Akzeptanz des jeweils anderen. Ich möchte Sie in meine Welt der Kindertageseinrichtungen mitnehmen, eine Welt, die sich in den letzten Jahrzehnten rasant verändert hat.
Die Welt der Kindertageseinrichtungen ist bunt, vielfältig, wie unsere Gesellschaft.
Erinnern Sie sich noch an Ihre Kindergartenzeit oder die Ihrer Kinder?


Wenn ich an meine Kindergartenzeit in einem mittelgroßen Ort in Sachsen denke, dann erinnere ich, dass die Kindergärtnerinnen noch mit Tante angesprochen worden. Onkels in Kitas gab es damals noch nicht. Ich erinnere mich an unbeschwerte Tage, aber auch an Strenge, an Regeln, vor allem, was das Aufessen und Schlafen betraf. Als lebendiges Kind, mit einem schon damals ausgeprägten Freiheitswillen war es nicht einfach, in diesem System der Gleichschaltung zurechtzukommen.
Als Kind gab es für mich nur die klassischen Familienmodelle: Vater, Mutter, Kind (er). Es gab wenig alleinerziehende Mütter.
Wandern wir gedanklich in die Jetztzeit und schauen uns die Wirklichkeit in Kitas hier in Berlin an.
Die Kinder werden von Erzieherinnen und Erziehern betreut. Der Anteil an männlichen Fachkräften liegt im Kitaverband mittlerweile bei 15%.
Wir haben ein Konzept der geschlechtersensiblen Pädagogik, kurz Genderkonzept, ein Kinderrechts- und Schutzkonzept, ein Inklusionskonzept erarbeitet.
Themen wie Diversity, voruteilsbewusste Erziehung, klischeefreie Vielfalt, Inklusion und und und finden sich in den pädagogischen Konzeptionen der Kitas.
Neben der klassischen Familie haben wir Eltern, die in sehr unterschiedlichen Lebensformen leben: Alleinerziehende Frauen und Männer, Regenbogenfamilien (gleichgeschlechtliche Eltern), Patchworkfamilien, Pflegefamilien. Sicher habe ich jetzt hier etwas vergessen.
Darüber hinaus begleiten wir Familien aus insgesamt 45 Nationen, unterschiedlicher Religionen, aus unterschiedlichen sozialen Milieus.
Hört sich erst einmal alles gut an. Die Welt ist bunt und vielfältig. Die Welt hier in Berlin ist in Ordnung, zu mindestens in den Kitas.
Stopp, ist das wirklich so?
Wenn wir tatsächlich einmal genauer hinsehen, kommen mir Zweifel, ob das was in Konzepten oder Leitbildern geschrieben steht, auch tatsächlich immer gelebt wird.
Ist es nicht so, dass trotz unserer verankerten Willkommenskultur doch auch in unseren evangelischen Kitas nicht alle Familien und Kinder willkommen sind?

Ist es nicht so, dass einige Pädagoginnen und Pädagogen sich gar nicht vorstellen können, dass Kinder oder Eltern divers sein können? Also queer, transsexuell oder was auch immer.
Ist es nicht so, dass ein jeder von uns immer wieder mit seinen eigenen Vorurteilen konfrontiert ist, gedanklich oder auch mit Worten ausgrenzt, seine Schubladen immer wieder bedient?
Ist es nicht so, dass Neues und Fremdes uns erst einmal Angst macht?
Ja und auch ich gehöre dazu. Ich habe Vorurteile und Schubladen.
Ich möchte Ihnen zwei Beispiele geben:
Von 2010 bis 2013 hat sich der Kitaverband an einem Bundesprojekt „Männer in Kitas“ beteiligt. Im Rahmen dieses Projektes habe ich mich verpflichtet jeden männlichen Bewerber einzuladen.
Zu einem dieser Bewerbungsgespräche kam ein junger Mann in Frauenkleidern, High Heels, geschminkt. Ich habe mich zum Glück nicht selbst gesehen, wie irritiert mein Gesichtsausdruck gewesen ist. Sofort kamen mir all die Herausforderungen in den Sinn, die auf mich zukämen, wenn ich ihn/sie einstelle.
Diskussionen mit den weiblich geprägten Kitateams, Diskussionen mit Eltern, Diskussionen mit Gemeindevertretern.
Diese Sorgen lenkten mich erst einmal davon ab, mir einzugestehen, dass ich selbst Vorurteile hatte, ich irritiert war.
Ich habe ihm ein Jobangebot gemacht, leider hat er sich für eine Stelle im Hortbereich entschieden.
2. Beispiel:
Ein Mitarbeiter schickte mir seine Heiratsurkunde zu. Ich bedankte sich mit einer Mai und gratulierte ihm und selbstverständlich seiner Frau. Ich hatte nicht genauer hingesehen und dabei übersehen, dass er seinen Mann geheiratet hat.
Es sind diese Gewohnheiten, die uns unachtsam werden lassen und damit ausgrenzen.
Aber was bedeutet gelebte Toleranz, gelebte Vielfalt? Wie gelingt Akzeptanz und Wertschätzung der Unterschiedlichkeit?

Im ersten Schritt ist es ein in sich hineinhören, ein sich bewusstmachen, welche eigenen Rollenbilder wir haben, wie wir aufgewachsen sind, was uns geprägt hat, welche Werte und Haltungen wir erlernt und verfestigt haben. Erst dann können wir uns auseinandersetzen und öffnen.
Unser christlicher Glaube, unsere christliche Gemeinschaft unterstützt uns dabei, trägt uns auch in dieser Frage.
„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Röm, 15,7
Er formuliert einen Appell, als lebendige Gemeinschaft einander zu akzeptieren in der ganzen Unterschiedlichkeit der jeweiligen Herkunft, der jeweiligen kulturellen Prägung, der jeweiligen sexuellen Orientierung, der jeweiligen gewählten Lebensform etc.
Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden und er begegnet uns in anderen Menschen. Hier ist es unwichtig, welcher Religion, welcher Nationalität der oder diejenige angehört, ob er, sie oder es, weiblich, männlich oder divers ist.
Auf dieser Grundlage kann es dann gelingen, seinen Blick zu öffnen, Verschiedenheit als Geschenk zu sehen.
Im Kitaalltag bedeutet das, dass Kinder aus ihren Rollen fallen können. Stellen Sie sich vor, Dornröser wird genauso von den Kindern gespielt wie Dornröschen. In der Verkleidungsecke sind nicht nur Prinzessinnenkleider und Feuerwehrhelm, sondern Tücher, mit denen man alles sein.
Im Juni haben wir uns am Tag der klischeefreien Vielfalt beteiligt. Ein lustig illustriertes Familien-Memory mit unterschiedlichen Familienkonstellation und Nationalitäten wurde in einer Kita den Kindern vorgestellt und gespielt. Am Ende des Vormittags, wo die Kinder und Erzieher*innen viel über Vielfalt gesprochen haben, sagte in kleines Mädchen ganz selbstbewusst, dass Rosa weiterhin ihre Lieblingsfarbe bleibt.
Das tolle daran ist, dass sie die Wahl hat.
Wir Erwachsene, ob als Erzieherin oder Erzieher, als Eltern, sind es, die Kindern Räume und Möglichkeiten geben, sich zu entdecken, zu wachsen, ohne dass wir sie einschränken, festlegen. Lassen wir Kindern die Wahl, beteiligen wir sie, nehmen wir sie ernst. Ganz egal, ob es um die Auswahl von Klamotten geht, um Spielsachen, um das richtige Verhalten als Junge oder Mädchen. Wir sind ihre Vorbilder.

Ich möchte mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer aus seinen „Stationen auf dem Weg zur Freiheit“ enden: Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben; das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens, nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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Kathrin Janert (*1966), Mutter dreier erwachsener Kinder, Chemiefacharbeiterin, Erzieherin, Dipl. Sozialpädagogin, Sozialmanagerin, Seit 2004 im Kirchenkreis Stadtmitte, Bis 2007 Fachberaterin der Ev. Kitas Stadtmitte, 2007-2011 Geschäftsführerin der Ev. Kitas im KK Stadtmitte, Seit 2011 Vorstand des Ev. Kitaverbands Berlin Mitte-Nord