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"Mit freundlichem Blick"
"Mit freundlichem Blick"
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"Mit freundlichem Blick"
Bischof Dr. Christian Stäblein
Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Predigt
Abschied von der Predella in St. Johannis Tiergarten
Invokavit, Römer 3, 21-26
1. März 2020
Als Worte zur Predigt lese ich einige Sätze aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom, 3. Kapitel, ich nutze in der Mitte, im Vers 25, eine alte Übersetzung von 1912 – Sie werden ziemlich schnell verstehen, warum:
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist, welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut, damit er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete in dem, dass er Sünde vergibt, welche bisher geblieben war unter göttlicher Geduld; um nun, in dieser Zeit, seine Gerechtigkeit zu erweisen, auf dass er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
Gott, schenke uns ein Herz für dein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
Hochverehrte Gäste, Geschwister aus Polen, aus Danzig, Geschwister im Herren, liebe Gemeinde im Tiergarten, liebe Schwestern und Brüder,
er steht da, uns gegenüber, mir gegenüber, der Blick ist freundlich. Ich bin willkommen, darf gegenüber treten, froh, freundlich angeschaut zu werden. Das ist ja das Elementarste im Leben überhaupt: freundlich angeschaut werden.
Für die meisten Menschen, auch für mich, ist das in einer Art Urform mit dem Blick der Mutter verbunden. Aber natürlich auch der Vater. Manchmal steht er noch heute da, offene Hände, leicht gekrümmter Rücken, die Knie ein wenig in sich eingeknickt, alt ist er geworden. Ein freundlicher Blick bestimmt das Gesicht unter weißen, dünn gewordenen Haaren. So wie die Mutter, faltenreich das Gesicht und doch irgendwie auch jung, die Augen sind groß geworden über die Jahre, ein Phänomen: diese Augen, als wollten sie zu den anderen hinüber, mehr als nur ein Blick, von der Wiege bis zum Ende: gut anschauen beim Gegenübertreten, beim Erscheinen.
Liebe Gemeinde,
Gott Vater ist aufgestanden, so scheint es, vielleicht hat er auch gar nicht gesessen auf der mit rotem Kissen und womöglich Samt ausgelegten Sitzfläche, vielleicht steht er schon länger da. Hier steht er jedenfalls nun schon seit Jahrzehnten, nein, seit Jahrhunderten, hier, auf der Predella vorne, Gott Vater steht, uns gegenüber mit freundlichem Blick. Ich gebe zu, die Aufnahmen, die ich von der Predella bekommen habe, haben mich rätseln lassen, wie die Augen hier genau sind in der Darstellung von Gott-Vater, vermutlich ja aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, aber alles, was ich gesehen habe, spricht dafür: er tritt freundlich gegenüber. Ob die Augen offen oder nicht, die gesamte Gesichtspartie sagt: freundlicher Blick. Er sitzt also gar nicht auf dem Gnadenstuhl, auf dem Gnadenthron, der da angedeutet ist hinter ihm und bei dem man nicht genau weiß, soll es ein ehrender Sitz sein oder die angedeutete Bundeslade, er sitzt nicht auf dem Gnadenstuhl, und also wird deutlich, wie es eigentlich gemeint ist: er ist der Gnadenstuhl. Ja, Gnadenstuhl ist in der bildenden Kunst der Fachbegriff für eben eine solche Darstellung: Gott Vater, vor ihm Gott Sohn und in der Mitte, auf der Schulter die Taube, Taube mit Heiligenschein, mit Nimbus, also: heiliger Geist. Gnadenstuhl ist der Fachbegriff für die Darstellung der göttlichen Dreifaltigkeit, der Trinität, und wenn man diese schöne, weil ebenso feine wie schlichte Darstellung dieser Predella mit anderen Gnadenstuhl-Darstellungen in der bildenden Kunst vergleicht, wird man das immer wieder so erleben: er sitzt gar nicht, trotz Stuhl, er steht, als sei er gerade aufgestanden oder als warte er schon lange, einem gegenüber zu treten, egal, er steht und schaut mit freundlichem Blick. Das ist das Wesen der göttlichen Dreifaltigkeit. Gott schaut uns gut an.
Es geht also am Ende nicht um einen Stuhl, schon gar nicht um einen Thron. Es geht um den Ort, an dem die Versöhnung geschieht. Paulus schreibt es. Es liegt nicht an unserem Tun, ohne Verdienst sind wir gerecht, gerecht gesprochen, gerecht gemacht, aus seiner Gnade durch Christus, den Gott hingehängt hat und hält. Gnadenstuhl. Seht, da steht er, freundlich tritt er gegenüber.
Liebe Gemeinde,
freundlich stehen wir heute hier miteinander. Der Predella gegenüber, schauen uns gegenseitig an, freuen uns aneinander, sind froh über unsere Gäste, die polnischen Geschwister. Wir geben Ihnen die Predella mit, weil sie Ihre ist, weil wir sie hier „nur“ gehütet und bewahrt haben. Auf verschlungenen Wegen ist die Predella hierher gekommen, weniger verschlungen, sondern offenkundig, offenkundig furchtbar und schrecklich aber sind die Gründe, warum die Predella nicht in Danzig geblieben war, da, wo sie einst im Danziger Raum um 1430 von einem Künstler gemalt worden sein dürfte, da, wo einst dieser freundliche Gnadenstuhl entstand und zur St. Marien-Kirche gehörte, da ist die Predella nicht geblieben. Das ist eine der Folgen des schrecklichen Krieges, der im deutschen Namen begonnen und mörderisch geführt wurde, der entsetzliche Überfall auf Polen, das Wüten und Zerstören in deutschem Namen. Anfang der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts, also ziemlich genau vor 80 Jahren, wurden Predella und Retabel zum Schutz vor möglichen Kriegsschäden abmontiert, verpackt und dann nach Berlin verbracht. Und nun stehen wir also heute hier, laden ein zu freundlichen Blicken: Zu dem, dass Predella und Retabel wohl gehütet viel bebetet und gewirkt haben; zu dem freundlichen Blick, dass Sie, dass die Menschen hier im Tiergarten in der Gemeinde St. Johannes und in der Kirchenkanzlei die Bilder in Ehren bewahrt, geschätzt, ja womöglich geliebt, jedenfalls immer in lebendiger Begegnung gehalten haben. Danke dafür ganz ausdrücklich. Und wir stehen heute hier und laden ein zu dem freundlichen Blick zu Ihnen, liebe polnische Geschwister, liebe Danziger, froh, dass Sie Predella und Retabel wieder zu sich holen, dass diese nun wieder dahin kehren, wo sie hingehören, dass das alles ein Zeichen sichtbarer Verbundenheit und Miteinander sein darf. Was sind wir froh über freundliche Blicke, wir haben das ja gar nicht verdient. Nach all dem Schrecken und der Schuld bleibt das allemal unverdient: der gute Blick zueinander. Wir sind dankbar – auch für Ihr freundliches Schauen auf unsere Gebete und die Gebete der Gemeinde, die hier der Predella und in ihr zeichenhaft dem Gnadenstuhl gegenüber steht. Gott, wir danken Dir, dass du uns gnädig ansiehst. Du meinst es gut mit uns. Sieh. Hier stehen wir.
So schön es ist, so sehr es uns erfüllt, es ist ja alles nicht so einfach golden, wahrlich nicht. Da ist sehr viel Schmerz mit in den Bildern.
Auch wenn die Absichten gut gewesen sein mögen, der Schutz von Retabel und Predella, sie waren dann jedenfalls 80 Jahre lange weg, nicht an ihrem Ort. Auch wenn das große Retabel-Gemälde, das wir heute hier nur auf dem Programmblatt sehen, weil es in der Gemäldegalerie aufgehängt ist, auch wenn das lange die kirchlichen und bischöflichen Räume in der Kanzlei in der Jebensstraße geistlich gerahmt hat, Bischof Dibelius mit seiner intensiven Beziehung und Liebe zu Danzig davon berührt war, auch wenn das alles so war, damit waren der Gnadenstuhl und der goldene Umhang, den wir auf dem Gemälde sehen, damit waren sie nicht an ihrem wahren Ort. Das schmerzt und der Schmerz ist und bleibt mit im Bild. -
Und auch der ganz andere, überhaupt nicht damit zu verrechnende Schmerz der Gemeinde St. Johannis, die die Predella gehütet hat und nun loslassen will und wird. Weil es richtig und geboten ist, dass die Dinge da sind, wo sie hingehören.
Schmerz ist mit im Bild, wahrlich – seht, wie er da steht und den leidenden Christus im Arm hält. Die Gnade des Gnadenstuhls steckt ja darin, dass da kein Gott einfach herumsitzt und dem Lauf der Welt aus sicherer Warte zuschaut, auf samtenen roten Kissen sozusagen, nein, er steht mit dem Leidenden und hält. Der goldene Umhang auf dem Retabel-Gemälde umgreift einen Mantel, der wie ein dunkler Ring scheint, inmitten dessen die geschlagene Kreatur, der Menschensohn, Gottes Sohn. Zum Gnadenstuhl hingestellt, zum Sühnemal heißt es in neueren Übersetzungen der Paulus-Worte, zum Versöhnungsort hingestellt. Versöhnen kann gelingen, wenn wir uns im Leid ansehen, wenn wir das Leid des anderen sehen.
Welchen Schmerz sehen wir, wenn wir hier vor die Tür in die Stadt hinaus treten. Kinder mit mehr Wunden als Perspektiven. Erwachsene auf der Suche nach einem zu Hause. Menschen, die sich fremd und lieblos anschauen. Schmerz ist immer schon im Bild. Was sehen wir, wenn wir vor die Tür hinaus nach Europa treten. Auseinanderzerrende Interessen, diametral. Ängste, potenziert. Menschen, die das auszunutzen versuchen mit Ausgrenzungspolitik. Schmerz ist immer schon im Bild.
Christus will da sein, ist da, will das wenden. Der Gnadenstuhl: der Ort, wo Menschen neue Perspektiven entwickeln, wir alle: Gold hinter Schwarz, gehalten im Gekrümmten.
Sünde wird vergeben, schreibt Paulus, gerecht will Gott machen, gerecht sollen wir werden. – Und also ist da die Taube, die Taube ist im Gnadenstuhl schon enthalten, in beiden Gemälden – auf der Predella und auf dem großen Retabel, die Taube ist schon. Gott ist ein Ort des Friedens. So tritt er uns gegenüber. Im Geist des gemeinsamen Hoffens. Im Geist der neuen Wege. Im Geist dieses Vogels, der locker und leicht über die Grenzen fliegt, frei wie ein Vogel sozusagen. Der Gnadenstuhl: ein Taubenschlag, mit Verlaub: ein Taubenschlag für eine Stadt der Hoffnung – Danzig, ein Europa der Hoffnung: deutsch-polnisch. Der Tiergarten und die Gemeinde hier, der Kiez, all das sowieso ein Taubenschlag guter Ideen und gemeinsamen Hinschauens, wo wer wie gebraucht wird. Mit Gebeten und mit Hoffen und mit Loslassen und mit neu Verbinden.
So steht er da. Wie Vater und Mutter. Schmerz mit im Bild aus der Geschichte. Hoffnung noch viel mehr, Güte. Freiheit. Ein goldener Umhang, wie Flügel ja fast – wie Flügel, die uns verbinden sollen und mögen, polnische und deutsche Geschwister, katholische und evangelische Geschwister, Danziger und Berliner, all das mit im Bild, so steht er und tritt uns gegenüber. Danke, dass wir uns so heute gegenüber treten. Die Blicke, die sich heute treffen, werden in diesen Bildern mit gehen und Euch, liebe polnischen Geschwister begleiten, so wie Ihr uns begleitet und in den Bildern immer schon hier ward. Möge Gottes Taube, sein Frieden mit Euch sein und mit uns allen. Amen.


(fotos:knoll)
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