Wir aktualisieren momentan unser Webseiten Design um die Erfahrung auf unserer Website zu verbessern.

Dr. Klaus-Dieter L. Ehmke - Gott spricht: Ich will sie heilen" (Jes 57,19) - Gesundheit und Krankheit - Predigt am 18. Juli 2020

HERR, du hast mich erforscht und kennst mich genau.
Ja, du hast meine Nieren geschaffen, mich im Bauch meiner Mutter gebildet.

Als Internist und Nierenarzt hatte ich schon lange die Idee, mal mehr über Psalm 139 nachzudenken. In der Lesart des Alten Testaments sind die Nieren der Ort innerster Gefühlsregungen. Wenn Gott die Nieren prüft, dann ist das ein Bild für der Prüfung der Motivation.
Das ist nie statisch und einfach mal so da. Im Gegenteil, es ist ein Prozess von Nehmen und Geben.
Wenn ich die Schwestern bei uns im Zentrum bitte, Material zur Prüfung der Nieren ins Labor zu schicken, will ich nur einen kleinen Teil der Funktionsweise wissen, habe aber zuvor eine Anamnese erhoben, die ich oft genug entschuldigend kommentiere:" Sie bestehen ja nicht nur aus Niere!" Von manchen selbstbewussten Patientinnen und Patienten bekomme ich dann zur Antwort: "Wenn ich mich hier so umsehe in ihrem Zimmer, dann glaube ich, Ärzte sind auch nur Menschen!" Meistens haben Patientinnen und Patienten recht, wenn man auf Augenhöhe ist, immer!
In der Regel sind wir in unserer Entwicklung erfreut erstaunt, wie wunderbar wir gemacht worden sind. Dann ist das Geben und Nehmen ein organischer Prozess, den wir erst dann dankbar wahrnehmen, wenn etwas fehlt vom Liebgewonnenen. Bei mir war das recht früh, denn meine Eltern haben mich beispielsweise an dem Abschiednehmen von der Urgroßmutter teilhaben lassen. Wenn man auf einem Bauernhof aufwächst, sind Werden und Vergehen im Jahreslauf ohnehin natürlich vorgegeben. Ich hatte es also gut, auch dabei.
Meine Motivation betreffend, mich für ein Studium der Humanmedizin zu bewerben, weiß ich noch genau, was ich in der "Darstellung meiner Entwicklung" mit 17 Jahren geschrieben habe und wie sich das weiterentwickelt hat mit meinem ersten Praktikum im damaligen Kreiskrankenhaus Anklam. Ich arbeitete als Hilfspfleger, denn zu 3 Jahren NVA verweigerte ich meine Zustimmung. Heute weiß ich, dass wesentliche Motivationsgrundlagen dort beim Arbeiten gelegt worden sind und mein Studium danach durch Erweiterung über den Tellerrand hinaus, etwas von dem widerspiegeln, wie Gott in mein Leben eingegriffen hat. Die klassische Berufungssituation habe ich dann in Berlin erlebt. Die Bedingungen dazu waren mehr als günstig. Ich war frisch verliebt (und hatte damit 120% Lebenskraft) und das St. Hedwig Krankenhaus im Rücken. Dort habe ich erlebt, wie man Leben und Sterben willkommen heißen lässt. Ich hatte wunderbare Lehrerinnen und Lehrer dort; vornweg Ordensschwestern, die auch mal dem Oberarzt die Gitarre in der Mittagspause wegnehmen, wenn der Arztbrief wichtiger erscheint. Und ärztliche Kolleginnen und Kollegen, die wussten was und warum sie das tun. Dazu gehörten selbstverständlich Gemeinschaftsgottesdienste, Fortbildungen und ausgelassene Feiern, eine überaus gesunde Kombination.
Ob ich sitze oder stehe: Du weißt es. Meine Absicht erkennst du von fern.
Ob ich gehe oder ruhe: Du bemerkst es. Alle meine Wege sind dir bekannt.
Noch liegt mir kein Wort auf der Zunge, schon weißt du, Herr, was ich sagen will.
Von hinten und vorn hast du mich umschlossen. Und deine Hand hast du auf mich gelegt. Zu wunderbar ist dieses Wissen für mich. Es ist mir zu hoch: Ich kann es nicht fassen.
B
Doch für dich ist die Finsternis gar nicht finster. Und die Nacht leuchtet so hell wie der Tag: Finsternis ist für dich gleich wie das Licht.

Diese Sätze mag ich besonders gern. Nicht nur, weil ich mal zur Sonnenwende auf Island eine Fotoserie gemacht habe, wo es praktisch keinen Sonnenuntergang gegeben hat oder weil ich mich an Nächte erinnere, die ich zum Tag gemacht habe und mit viel Rotwein das Szenario zur Weltverbesserung mit Freund*innen zusammen glaubte, fertig zu haben. Nicht nur, aber auch! Denn unsere Nächte gehören ebenso zu uns. Wir sollten ausruhen und unsere natürlichen Grenzen kennen - und akzeptieren lernen.
Wie ist das aber in Hinsicht auf Gesundheit und Krankheit, auf Heil und Heilung? Das ist das zentrale Thema der kleinen Predigtreihe. Frau Pastoralreferentin Vera Markert von der Charité hat uns das plastisch geschildert, dass "Höher-weiter-schneller" plötzlich nur noch ein Traum sein kann. Aber auch, dass Mut und Zuversicht wachsen können.
Viele Menschen empfinden Krankheit, Sterben und Tod als die Finsternis an sich. "Hauptsache gesund!" Erinnern wir uns an die zynischen Bemerkungen vor wenigen Wochen über Menschen, die ohnehin bald sterben würden, auch ohne so ein Virus, das uns die Mund-Nasen-Tücher beschert hat. Es gibt sogar Menschen, die meinen, dahinter stecke Gott und manche wissen auch gleich sehr genau, welche schlechten Menschen oder frevelhaften Taten dahinter stecken müssen. Als wenn Gott einen Bußgeldkatalog vor sich hätte und gnadenlos Knöllchen verteilen würde. Es wirft aber auch ein bezeichnendes Licht auf uns selbst, dass wir für alles eine Begründung haben wollen. Dass wir manchmal annehmen, wir wüssten all die Ursachen. Dann sind wir schnell dabei und verteilen die Schuld, dass die oder der ja selbst die Krankheit mitverursacht hat. Nicht die Ursachenforschung ist schlecht, im Gegenteil. Aber die moralische Verwerfungen bringen Wahrheit und Liebe aus der Balance. Denken wir nur an die Bewertung von sexuell übertragbaren Erkrankungen und psychischen Krankheiten in der Medizingeschichte. Vielfach erlebe ich diese mittelalterlichen Denkweisen immer noch. Die oder der muss doch etwas "gemacht" haben, dass sie oder er jetzt so krank ist. Diese Zusammenfügung ist heillos. Aber auch bei mir selbst. "Womit habe ich das jetzt verdient?" Diese bohrenden Fragen können Menschen in den Wahnsinn treiben. Aus diesen Denkmustern möchte ich sie hier gern heraus begleiten und behaupte sogar, dass ich gute Argumente habe, die ich im Psalm 139 zu finden glaube:

Den Perspektivwechsel:
Ich hatte noch keine Gestalt gewonnen, da sahen deine Augen schon mein Wesen. Ja, alles steht in deinem Buch geschrieben:
Die Tage meines Lebens sind vorgezeichnet, noch bevor ich zur Welt gekommen bin.
Schnell gelesen könnte man annehmen, alles sowieso egal. Da kann man nichts machen. "Was dir bestimmt ist, kommt sowieso!" In einem Punkt geben ich diesen Patientenaussagen sogar recht. Wenn ein Mensch geboren wird, ist klar in "siebzig, wenn es hoch kommt achtzig Jahren" werden wir sterben. Ob wir dann klug geworden sind, liegt aber auch an uns selbst. Unsere Erbanlagen, unsere Erziehung, unser Lebensumfeld dominieren uns und geben uns einen mehr oder weniger guten Startblock. Aber davor war die Liebe, in welcher Form auch immer. Das ist nicht für alle nachzuvollziehen. Die Vorzeichen stehen manchmal nicht gut. Aber in diesem Buch des Lebens sind viele Zeilen, ja ganze Seiten frei. Bestenfalls jubeln wir dann: "Ich danke dir dafür, dass ich so unglaublich wunderbar geschaffen bin. Ich weiß, wie wundervoll deine Werke sind."
Diese Erkenntnis kann schnell verblassen, wenn Schmerzen uns plagen und die bekannte Frage "WARUM" wieder da ist.
Aus der Perspektive Gottes brauchen wir dazu Mut und Zuversicht.
Mut
Würde ich in den Himmelsteigen: Du bist dort. Würde ich mich in der Unterwelt verstecken: Du bist auch da.
Würde ich hoch fliegen, wo das Morgenrot leuchtet, mich niederlassen, wo die Sonne im Meer versinkt:
Selbst dort nimmst du mich an die Hand und legst deinen starken Arm um mich.
So eine mutmachende Beschreibung muss man erst mal suchen. Wie oft höre ich das in der Sprechstunde und in den Visiten, dass die Patientinnen und Patienten in Abgründe blicken und es doch immer wieder weiter geht. Sie berichten von den "starken Armen", aber auch von der Suche danach und den Hilfen in unserem reichen Land. Die Entscheidungen werden uns nicht abgenommen, aber Gott sagt uns "seinen starken Arm" zu. Das habe ich selbst erfahren, als ich nicht wissen konnte, ob die Diagnose Krebs nur auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss oder noch andere Formulare bedrucken muss. Ich würde in normalen Jahren jetzt auf Hiddensee sitzen und nach dem Gottesdienst am Pfarrhaus folgenden Satz lesen, den ich ihnen nicht vorenthalten will: "Gottes sind Wogen und Wind, Segel aber und Steuer, sind euer, daß ihr den Hafen gewinnt." Dazu möchte ich ihnen Mut wünschen. Und Zuversicht.

Zuversicht
Wie kostbar sind für mich deine Gedanken, Gott! Wie zahlreich sind sie doch in ihrer Summe!
Wollte ich sie zählen: Es sind mehr als der Sand. Käme ich zum Ende. Noch immer bin ich bei dir.
Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Bis zu unseren letzten Atemzug bleiben diese Fragen spannend. Jedenfalls wünsche ich mir das. Dennoch habe ich Menschen kennengelernt in meiner beruflichen Praxis und im privaten Umfeld, für die alles klar war; zumindest betonten sie es zu allen möglichen und unmöglichen Anlässen. Ich bin immer beeindruckt und zugleich aber auch verunsichert, wenn Menschen behaupten, die Fragen des Sinn des Lebens in der Tasche zu haben. Die eine Gruppe behauptet, nach dem Tod käme nichts mehr. Eine davon war meine Schwiegermutter. Am Sterbetag fragte sie mich, wie man den "lieben Gott anspricht, wenn man im Himmel ankommt". Ich war etwas verlegen bei der Antwort. Alle Diskussionen zuvor verblassten plötzlich und ich musste Farbe bekennen. Sie war getauft und konfirmiert in einer Zeit, als man das bei fast allen so machte, war aber aus der Kirche ausgetreten zu DDR-Zeiten, als sie einen Salonkommunisten geheiratet hatte. Sie liebte die Predigten unserer Gemeindepfarrerin und war ein Fan von Margot Käßmann. Aber an dieser letzten Antwort, was kommt danach, änderte das nichts. Bis zu diesem einen Tag, den ich nicht vergesse. Ein Tag nach meinem Geburtstag. Die Welt holte Atem, weil der Papst zurücktrat. Der Berliner Fernsehturm hatte Festbeleuchtung, wir wissen bis heute nicht warum. An diesem einen Tag war dieser Frau klar, sie würde ihrem Schöpfer gegenübertreten. Sie würde im Himmel ankommen. "Käme ich zum Ende. Noch immer bin ich bei Dir." Das ist Zuversicht und bis zum letzten Atemzug möglich.

C
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz! Verstehe mich und begreife, was ich denke!
Schau doch, ob ich auf einem falschen Weg bin! Und führe mich auf dem Weg, der Zukunft hat!
Diesen Perspektivwechsel wünsche ich mir und ihnen mit viel Mut und Zuversicht, dass Heil und Heilung passieren kann. Solange wir atmen, kann es passieren. Dafür lehne ich mich auch noch bei Bertold Brecht an, wenn er schreibt,  "Alles wandelt sich".

Alles wandelt sich. Neu beginnen
Kannst du mit dem letzten Atemzug.
Aber was geschehen ist, ist geschehen. Und das Wasser
Das du in den Wein gossest, kannst du
Nicht mehr herausschütten.

Was geschehen ist, ist geschehen. Das Wasser
Das du in den Wein gossest, kannst du
Nicht mehr herausschütten, aber
Alles wandelt sich. Neu beginnen
Kannst du mit dem letzten Atemzug.

Ich wünschen ihnen allen einen langen Atem auf diesem Weg,
bleiben oder werden Sie gesund
und vor allem behütet an dem starken Arm des Ewigen.                                                                  

 

Es galt das gesprochene Wort.